Momentaufnahme

Es ist der 10. September 1964, Bahnhof Köln-Deutz: Reporter, Blitzlichtgewitter, ein Festkomitee, Blumen, Musik und Tanz, so wird der einmillionste sogenannte Gastarbeiter Deutschlands begrüßt. Es ist der 38-jährige Portugiese Armando Rodrigues de Sá. Das funkelnde Zündapp-Mokick erhält er als Willkommensgeschenk. Empfang und Geschenk sollen Deutschland als gutes Ziel für Arbeitssuchende anpreisen und weitere Anwerbungen fördern.

Köln-Deutz ist für de Sá jedoch nur eine Haltestelle auf dem Weg zu seinem künftigen Arbeitsplatz in Baden-Württemberg. Das Moped nutzt er in Deutschland kaum, sondern bringt es zur Familie in Portugal. Auf Heimatbesuch Anfang der 1970er Jahre wird de Sá krank, Diagnose Krebs. Seine Ersparnisse gibt er für Behandlungen und Medizin aus. Von der Möglichkeit, Krankengeld zu beanspruchen, weiß er nichts. Ganz ohne Blitzlichtgewitter und Anteilnahme seines Gastlandes stirbt der Millionste „Gastarbeiter“ 1979 in seinem Heimatort.

Das Bild de Sás prägt das Image der männlichen „Gastarbeiter“ aus Südeuropa nachhaltig. Schulbücher und Medien nutzen es immer wieder, um die Geschichte der „Gastarbeit“ zu erzählen. Doch ist das Bild nur eine „Momentaufnahme“ und erzählt nur einen kleinen Teil der Geschichte. Lange unerzählt bleibt die Situation von vielen hart arbeitenden Menschen, die fern von Familie und Freunden oft einsam leben. Auch viele junge Frauen kommen als Arbeiterinnen nach Deutschland. Und viele „Gäste“ bleiben schließlich dauerhaft. Sie gründen hier Familien, schlagen Wurzeln und prägen unsere Gesellschaft mit.